Montag, 9. Januar 2012

Gedanken zu Atheismus und Religionsunterricht oder ein Plädoyer für den Religionsunterricht

 Als Religionslehrerin, insbesondere an Berufsbildenden Höheren Schulen, stellt man – auch wenn man sich selbst nicht als weltfremd bezeichnen würde - immer wieder mit Verwunderung fest, wie wenig die Welt der Jugendlichen mit auch nur irgendeiner Form von Religiosität, Spiritualität oder ähnlichen zu tun hat. Besonders verwunderlich ist, dass sie nicht nur mit Religion nichts zu tun haben, sondern aber, dass sie sich nicht einmal an der Religion stossen. Keine harte Kritik über Papst, Kirche, Pfarrer, die Bibel oder ähnliches. - Wie ich es am Anfang erwartet hätte. Anstatt dessen – Nichts! Wohl eher Ignoranz und Gleichgültigkeit, aber keine provokanten Fragen, kein Reiben, kein Abgrenzen. - Nichts! Nada!
Beim Lesen eines Artikels des Religionsphilosophen Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld mit dem Titel „Wandlungen des Phänomens und der Bedeutung des Atheismus an der Wende zum 21. Jahrhundert“ wurde mir manches nochmal deutlicher bewusst.
Wucherer-Huldenfeld beschreibt darin unterschiedliche Formen von Atheismus, unter anderen die des indifferenten bzw. des negativen Atheismus.
Der/die indifferente AtheistIn sieht sich selbst weder als gläubigen Menschen, noch als Ungläubigen, viel mehr steht er/sie jeglichem Meta-physischen absolut gleichgültig und desinteressiert gegenüber. Seine/ihre neue Lebenswelt sucht er/sie in einem ideologiefreien Raum, um sich gegen jegliche Indoktrinierung von beiden Seiten (religiöser, wie atheistischer) abzuschotten.
Ähnlich ist es laut Wucherer-Huldenfeld beim negativen Atheisten, nur mit dem Unterschied, dass dieser aus der „systematischen Austreibung“ der Religionen und „dem notorischen Fehlen religiöser Erziehung“ hervorgegangen ist. Der Unterschied zwischen indifferenten und negativen Atheismus ist fließend und schwer herauszufinden. Die Folgen sind die gleichen.
Im Religionsunterricht steht man jungen Menschen gegenüber, die entweder, weil sie zuhause oder auch in der Schule nie wirklich von Religiosität betroffen waren (damit meine ich im emotionalen und nicht im rationalen Sinne) oder auch aus anderen Gründen, allem - abseits der physischen, materiellen Welt bestehenden - mit Desinteresse gegenüberstehen.
In den Religionsunterricht geht man vielleicht doch noch, weil es die Eltern sagen, weil die FreundInnen gehen, weil der/die LehrerIn vielleicht ganz nett ist, weil es mal was anderes ist, weil es den Notendurchschnitt hebt, eine weitere Möglichkeit für ein Maturafach bietet, oder weil es beim zukünftigen Arbeitgeber gern gesehen wird. Es gibt im, doch noch irgendwie, christlich-religiösen Österreich doch noch viele Gründe den Religionsunterricht zu besuchen. Im seltensten Fall – so ehrlich muss man sich selbst gegenüber sein - ist es aus wirklichem Interesse am Fach. Das kann man nun pessimistisch lesen. Dieser Werteverfall... - früher war alles besser... blablabla. - Oder auch nicht. Die oben genannten Gründe sind durchaus plausibel, in einer Gesellschaft, die immer mehr auf Leistung und Genuss ausgerichtet ist, sind es durchaus berechtigte Überlegungen, die die Jugendlichen zum Besuch des Religionsunterricht bewegen. - Und ich möchte auch keineN die ich im Unterricht habe, missen. Man kann diesen Automatismus als ReligionslehrerIn auch für sich verwenden und trotzdem sehen, welche wesentliche Aufgabe man doch noch irgendwie hat. Man kann versuchen die jungen Menschen zu bewegen, auch wenn es dazu führt, dass Kritik geübt wird, dass hinterfragt wird. Hat man das geschafft, so ist einem schon sehr viel gelungen. Bzw. ALLES, denn genau darum geht es. Egal aus welchem Grund die Jugendlichen an unserem Unterricht teilnehmen, Ziel ist es sie aus der Gleichgültigkeit zu holen und sie zumindest zum Kritisieren an zu regen. - Denn die Zukunft braucht Menschen, denen nicht alles egal ist, sie braucht welche, die sich Gedanken machen - egal in welche Richtung...
Genau deshalb darf man sich nicht entmutigen lassen, sondern sich immer wieder vor Augen führen, dass diese (nicht unumstrittene) Aufgabe, die wir ReligionslehrerInnen haben, eine wesentliche ist - sofern man sie richtig versteht... 
Literatur: Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld, Wandlungen des Phänomens und der Bedeutung des Atheismus an der Wende zum 21. Jahrhundert, in: ebd.u.a., Atheismus heute? Ein Weltphänomen im Wandel, Leipzig 2001, 37-52.

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