Mittwoch, 29. Februar 2012

Woher kommt der Sinn?

Herbert Schnädelbach (man merkt, dass ich ihn gerade lese...) kritisiert in seinem Text „Mit oder ohne Gott? Ansichten des Atheismus“ im Exkurs über den Sinn von „Sinn“, die Konjunktur, die dieser Begriff in der Gegenwart erfährt. Er hält den Sinn „für einen grammatikalischen Fetisch“ und er stellt fest, dass sich das religiöse Bedürfnis immer in den der Frage nach dem Sinn zeige. Gleichzeitig fragt er sich, ob es tatsächlich so ist, dass SeelsorgerInnen nach dem Sinn im religiösen Zusammenhang gefragt werden, ist es wirklich so, dann handelt es sich dabei seiner Auffassung nach „um das Nachreden einer kaum verständlichen, halbgebildeten Redeweise, der zufolge religiöse Fragen Sinnfragen seien.“ 
Für ihn ist die wahre Frage nach dem Sinn eine ganz andere, die nicht mit Religiosität in Zusammenhang steht und deren Antwort vielmehr ein Plural als ein Singular ist.
Dieser Gedanke gab mir den Anstoss, das auf bezogen auf mein eigenes Leben zu reflektieren. Dabei musste ich auch feststellen:

Religion gibt meinem Leben nicht Sinn, sondern vielmehr die Form... Die Rituale, formen die Lebensübergänge, die ethischen Grundregeln formen mein Handeln. Der Glaube an einen Gott zu dem ich in Beziehung treten kann, gibt mir (manchmal, idealerweise oft) Halt, das Vorbild Jesu formt meine Art zu Leben.

Sinn gibt mir anderes, Sinn gibt mir meine Bildung, meine Tätigkeit, mein Job. Meinem Leben gibt meine Beziehung, meine Beziehungen, also die mehr oder weniger engen Freundschaften und meine Familie Sinn. Sinn geben mir auch gute Gespräche, schöne Abende, unvergessliche Erlebnisse.


... aber die Religion, gibt die Sinn?! Versucht man vielleicht nicht einfach der Religion durch den Bezug zum Sinn des Lebens einen besonderen Stellenwert zu geben? Aber ist die Form des Lebens nicht auch etwas so sehr Wesentliches...?!


Literaturtipp: Schnädelbach Herbert, Mit oder ohne Gott? Ansichten des Atheismus, in: derselbe, Religion in der moderenen Welt, Frankfurt 2009. 

Montag, 20. Februar 2012

Ernst genommene Religiosität ist ernst zu nehmende Religiosität

Der Philosoph und bekennende „fromme Atheist“ Herbert Schnädelbach schreibt im Vorwort zu seinem Buch „Religionen in der modernen Welt“, dass in dem jetzigen postreligiösen Zeitalter Religion nicht mehr ernst genommen wird und sich die Menschen viel lieber an ihre jeweils verwertbaren Teilaspekte halten.

Damit hat er mir direkt aus meinem Herzen geschrieben. - Denn er fasst damit Phänomene zusammen, die mich schon einige Zeit beschäftigen und bringt sie auf den Punkt. Dass Religion nicht mehr ernst genommen wird, zeigt sich im Umgang mit ihren Inhalten, Ritualen, Symbole und Werten. Das sieht man etwa in folgenden Phänomenen (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):


Neue Religiosität und Spiritualität:

Auch wenn man es grundsätzlich für gut befinden muss, dass sich Menschen der Spiritualität zuwenden. In vielfacher Hinsicht werden die Religionen, sei es das Christentum, der Hinduismus oder der Buddhismus nicht mehr ernstgenommen. Sie werden wahrgenommen, zerstückelt, neu sortiert bzw. wieder neu zusammengesetzt. Dies zeigt sich insbesondere, wenn es um die radikale Erfahrung des Todes geht. Also hier etwas Himmel, dort etwas Reinkarnation und dann doch wieder Kontakt mit den Verstorbenen.


Fundamentalismus (aller Monotheismen):

Die Religion wird zur Politik. Vermeintlich christliche, jüdische oder muslimische Werte instrumentalisiert, so dass sie den politischen Ansichten und Anliegen entsprechen. Da wird etwa das Gebot der Nächstenliebe verkehrt und zum Kampf gegen andere Religionen aufgerufen, gegen andere Völker, um Territorien zu sichern oder sie zu erweitern. Es werden Frauen in schwierigen Schwangerschaftssituationen zu Mörderinnen verunglimpft, Homosexuelle zu Tieren degradiert und das alles um den nächsten Wahlkampf zu gewinnen – in God we trust.


Die kulturell praktische Religiosität:

Altbekannt - Um ein friedliches Weihnachtsfest zu feiern, um eine tolle Hochzeit zu haben, „a schene Leich“ zu begraben oder auch ein paar freie Tage einzuheimsen. Religiosität und Tradition werden vermischt (auch wenn sie vielleicht ganz unterschiedliche Ursprünge haben) um Geschenke zu erhalten und im Mittelpunkt zu stehen.


Die Auswüchse der Säkularisierung:

Zeigen sich im Annehmen von Symbolen, Ritualen, Baustilen usw. um die religiöse Faser in jedem Menschen zu wecken und sie für die eigenen Zwecke zu missbrauchen. (vgl. Einkaufstempel)


Der (teils radikale, aber nicht unbedingt neue theoretische oder praktische)Atheismus:

Hinhaken und kritisieren ist einfach, insbesondere bei Phänomenen, die tausende Jahre alt sind, für politische Zwecke instrumentalisiert und missbraucht wurden und werden (siehe oben). So wird etwa Gewalt im Dienste der Religion verurteilt, muss sie auch aus der Innensicht der Religion heraus. Somit trifft die Kritik nicht den Kern des Glaubens. Manche platte AtheistInnen (und um die geht es hier) setzen Religion mit Aberglaube, voraufgeklärten Geplänkel gleich. Doch diese Kritik nimmt Religion nicht ernst und bleibt weit hinter ihr zurück.


Im Unterschied dazu nimmt wahre Religionskritik Religion ernst und trifft dabei wieder auf sie, reibt sich an ihr und setzt sich auseinander. Diese Religionskritik kann zum Atheismus führen, manchmal aber auch dahin, dass man Religion gut reflektiert und kritisch in sein/ihr Leben aufnehmen kann und sie annimmt. - aber das soll hier nicht das Thema sein.


All jene angesprochenen Phänomene nehmen Religion nicht ernst, vielmehr wird dabei unreflektiert, unvorsichtig und oberflächlich genommen, was man brauchen kann. Den Rest lässt man links liegen.
Religion und Glauben wirklich ernst zu nehmen, nicht zu ernst, aber ernst genug, das ist wohl die Kunst. Wer weiß, ob ich über sie verfüge. Aber, ich denke, es ist die Aufgabe, einer jeden, redlich glaubenden Person, egal welcher Konfession oder Religion. Glaube gehört jeden Tag aufs neue reflektiert und die institutionalisierte Form kritisch hinterfragt. Nur dann bleibt er lebendig. Glaube ohne Zweifel und Reflexion ist tot.

Literaturtipp:
Schnädelbach Herbert, Religion in der modernen Welt, Frankfurt 2009